„Wenn das Unbeschreibliche eine Stimme bekommt: Betroffene zeigen Gesicht“ – Pfingstempfang des Diözesankomitees bewegt mit Ausstellung zu sexualisierter Gewalt in der Kirche

Paderborn, 15. Juni 2025 – Ein Abend des Zuhörens, der Begegnung und der Sichtbarmachung: Der diesjährige Pfingstempfang des Diözesankomitees im Erzbistum Paderborn stand im Zeichen der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche. Zahlreiche Gäste waren der Einladung ins Haus am Eulenspiegel (DPSG-Diözesanzentrum) am Freitagabend nach Rüthen gefolgt. Im Zentrum der Veranstaltung stand die eindrucksvolle Foto-Wanderausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“, die das persönliche Erleben von Betroffenen sichtbar macht und ihnen öffentlich eine Stimme verleiht. Damit setzte das Diözesankomitee ein deutliches Zeichen für Anerkennung, Aufarbeitung und Haltung.

Die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Ilonka Czerny, Fachbereichsleiterin für Kunst an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, führte in das Konzept ein. Sie erläuterte die Entstehungsgeschichte und machte die Intention hinter der Präsentation deutlich: „Bei der Konzeption der Ausstellung ‚Betroffene zeigen Gesicht‘ hatte und habe ich stets zwei Gruppierungen im Blick: Die Betroffenen, auch jene die nicht in der Ausstellung vertreten sind, und die Betrachter*innen. Diese Ausstellung möchte zwischen diesen beiden Gruppierungen vermitteln. Sexualisierte Gewalt und deren lebenslangen psychischen und physischen Auswirkungen sind für Personen, die dies nicht erleben mussten, kaum vorstellbar. Diese Bild-Text-Kombinationen können - wie nach drei Jahren Wanderausstellung zu resümieren ist - bewirken, dass den Betroffenen mehr Verständnis entgegengebracht wird. Zudem möchte die Ausstellung ein Teil von temporärer Erinnerungskultur darstellen. Sie soll als mobiles Mahnmal gegen das Vergessen von sexualisierter Gewalt in der Kirche gelten.“

Die Ausstellung vereint ausdrucksstarke Portraits mit biografischen Texten. So werden Geschichten erzählt, die oft hinter anonymen Zahlen verschwinden: individuelle Erfahrungen, Verletzungen – und der Mut, trotz allem sichtbar zu werden. Die Wirkung war unmittelbar: In der respektvollen Atmosphäre des Abends war die Betroffenheit der Gäste spürbar. „Was wir hier heute Abend gesehen und gehört haben, berührt und bewegt“, erklärte Jan Hilkenbach, Vorsitzender des Diözesankomitees. „Diese Ausstellung ist eine stille, aber kraftvolle Mahnung: Wir müssen wirklich hinhören, um aktuelles und vergangenes Leid zu erkennen und für die Zukunft möglichst zu verhindern. Jeder Mensch, der Gewalt erfahren hat, verdient unsere volle Aufmerksamkeit, unser Mitgefühl – und unser entschlossenes Handeln in Kirche und Gesellschaft.“

Besonders eindrucksvoll war der Beitrag von Karl Haucke, dessen persönliche Worte als Betroffener und Engagierter in verschiedenen Initiativen viele Gäste berührten. Offen und bewegend sprach er über sein persönliches Erleben: „Das Geschehen sexualisierter Gewalt lässt sich nicht reduzieren auf einen kriminalistischen Tatbestand. Es geht auch um die Zerstörung von Beziehungen, um ein mit Füßen getretenes Glaubensleben, um die zurückbleibende Orientierungslosigkeit, um Brüche in der Bildungsbiografie. Auf all dies weist die Ausstellung hin. Als ich das Internat verließ, war ich ein Ding. Ein Triptychon aus Angst, Orientierungslosigkeit und Grauen. Ich hielt jedes Lächeln für eine Lüge." Sein eindringlicher Appell an das Publikum lautete: „Habt den Mut, Euch des eigenen Verstandes zu bedienen. Tragt das System des ‚weiter so‘ nicht mit.“

Nach einem Rundgang durch die Ausstellung, sprach Reinhold Harnisch, Vorstandsvorsitzender und Sprecher der Betroffenenvertretung im Erzbistum Paderborn und zudem Mitglied in der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für das Erzbistum Paderborn. In seinem Beitrag kritisierte er eindringlich, dass Verantwortung zu oft weitergereicht werde – statt sie aktiv zu übernehmen: „Der Versuch, Verantwortung zu delegieren muss scheitern. Aufarbeitung und Anerkennungsleistungen an eine anonyme Kommission zu verlagern ist der unanständige Versuch, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Niemand, der entscheiden kann, sollte sich hinter Beschlüssen der Deutschen Bischofskonferenz verstecken, denn diese sind kein Gesetz. Wem die Entscheidungsbefugnis übertragen ist, der hat auch die Pflicht, zu entscheiden und sich nicht hinter anderen zu verstecken.“

Die Vorsitzende des Diözesankomitees, Nadine Mersch, fand eindrückliche Worte: „Wir sind sehr dankbar für den Mut der Betroffenen, sich zu zeigen – trotz allem. Ihr Vertrauen ist ein Geschenk, das uns verpflichtet. Diese Ausstellung ruft uns auf, als Kirche und Gesellschaft zu lernen, Aufarbeitung und Bewältigung zu verändern, zu verbessern. Nicht theoretisch – sondern menschlich, konkret und gemeinsam.“

Im anschließenden Get-together kamen Gäste und Beteiligte in einen offenen Austausch. Viele nutzten die Gelegenheit, ihre Eindrücke zu teilen, Fragen zu stellen oder eigene Gedanken beizutragen. Die Veranstaltung schuf damit auch Raum für Verantwortung und Erneuerung – ganz im Zeichen der Bedeutung der Pfingsttage.

Die dokumentarische Foto-Ausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“ wird an weiteren Standorten im Erzbistum Paderborn zu sehen sein: im Citykloster Bielefeld (23. Juni – 6. Juli), in der Kulturkirche Kirchhundem-Silberg (7. Juli – 18. Juli) sowie während Libori im Hohen Dom zu Paderborn, Alter Kapitelsaal (27. Juli – 1. August, täglich jeweils von 12:00 Uhr bis 14:30 Uhr).

 

Das Diözesankomitee ist die demokratisch gewählte Vertretung der katholischen Lai*innen aus den Pfarrgemeinderäten und den katholischen Verbänden im Erzbistum Paderborn und damit der Paderborner Mosaikstein im Laienapostolat Deutschlands.

Bildunterschriften:

„2025_06_13_DK_Pfingstempfang_1.1“/ „2025_06_13_DK_Pfingstempfang_1.2“: v.l. Karl Haucke, Regina Kopp-Herr, Thomas Klöter, Nadine Mersch, Stephan Stickeler, Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz, Nadine Eckmann, Jan Hilkenbach, Reinhold Harnisch

„2025_06_13_DK_Pfingstempfang_2“: Im Zentrum des Pfingstempfangs stand die eindrucksvolle Foto-Wanderausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“, die das persönliche Erleben von Betroffenen sichtbar macht und ihnen öffentlich eine Stimme verleiht.

Fotoquellen: Diözesankomitee im Erzbistum Paderborn

 

Veröffentlicht: 15.06.2025