Pax vobis! Friede Euch! – Betstunde auf Libori stellt vielfältige Lebensformen und Glaubenszeugnisse in den Mittelpunkt
Angesichts von Intoleranz gegenüber LGBTIQ*-Personen innerhalb wie außerhalb der Kirche, angesichts von Gewalt gegen Transpersonen, Hetze gegen engagierte weibliche und allein lebende Theologinnen, angesichts von Sexismus innerhalb der Kirche und Diskreditierungen der priesterlichen Lebensform betete das Diözesankomitee auf Libori insbesondere für den innerkirchlichen Frieden. „Wir wissen, dass diese Hass und Hetze nicht von der Mehrheit der Gläubigen getragen wird, gerade deshalb ist es wichtig, denen Beizustehen und diejenigen explizit mit ins Gebet einzuschließen, die davon betroffen sind“, stellte Nadine Mersch, eine der Vorsitzenden des Diözesankomitees, in ihrer Einführung heraus.
So begrüßte Mersch neben Pastor Bernhard Henneke und Jutta Ebbert, die gemeinsam der Betstunde vorstanden, weitere Gläubige aus dem gesamten Erzbistum als Mitwirkende, die unterschiedlichste Glaubenszeugnisse ablegten.
Tourismus-Seelsorger Jörg Willerscheidt aus Winterberg stellte in seiner Auslegung des Lesungstextes Gal 3,27-28 zunächst den hebräischen Urtext der Genesis in den Mittelpunkt, in der es heißt, dass Gott den Menschen männlich und weiblich schuf und eben nicht explizit als Mann oder Frau. Dies öffne eine Bandbreite, auf der alle für sich einen Platz finden könnten. Niemand müsse sich verstecken oder dafür schämen, sondern dürfe sich als Gottes gute Schöpfung begreifen. Dieser Satz aus der Schöpfungsgeschichte sei deshalb ein Hoffnungssatz für alle, die mit religiösen Argumenten eingeschüchtert und in eine angeblich gottgewollte Zweigeschlechtlichkeit eingesperrt wurden. Vielfalt sollte – auch angesichts des medizinischen und genetischen Erkenntnisfortschrittes – nicht als Bedrohung oder Fehler, sondern als wertvoll verstanden werden.
Diese Vielfalt innerhalb der Kirche zeigte sich auch in den folgenden Glaubenszeugnissen: So berichtete zunächst André Stielicke davon, wie er als Erwachsener zum Glauben gekommen war und vor vier Jahren in die katholische Kirche eintrat. Eva Dreier brachte ihre Perspektive aus der Initiative #OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst ein, in der sie sich inzwischen als Vorstandsmitglied für eine diskriminierungsfreie Kirche engagiert. Jutta Ebbert und Regina Kopp-Herr berichteten aus explizit weiblicher Perspektive und stellten heraus, wie sie Kirche zeitlebens erfahren haben und wie sie diese heute gestalten. Auch Bernhard Henneke, Priester im Pastoralen Raum an Egge und Lippe, berichtete sehr persönlich über die Herausforderungen und Bereicherungen seines Lebens als Priester in der heutigen Zeit.
Die Bitte um Einheit und Frieden in der Kirche wurde anschließend in das Gebet mit aufgenommen, dass alle Christen eint. Zum Vaterunser verbanden sich schließlich mit Wimpelketten als äußerlich sichtbarem Zeichen der Verbundenheit alle Betenden untereinander im Dom. Dieses ergab nicht nur ein farbenfrohes Bild im Dom, sondern kleidete den voll besetzten Dom auch in eine besondere Atmosphäre. Mit den Leitsätzen des Synodalen Weges für eine synodale Kirche, die helfen sollen, in eine Haltung gelebter Synodalität hineinzuwachsen, wurde die Andacht beschlossen.
Diese zehn Leitsätze lauten:
1. Öffne dich:
Öffne dich, wie sich Maria bei der Verkündigung und die Hirten in der Weihnachtsbotschaft sich der Botschaft der Engel öffneten. Öffne dich: für den Segen und die Nöte unserer Zeit, unserer Kirche, für den Anruf Gottes. Öffne dich für die anderen Menschen, für unterschiedliche Meinungen, für neue Ideen – aber auch für unlösbare Fragen.
2. Bewege dich:
Bewege dich wie Simon und Andreas am See von Galiläa, die alles liegen und stehen ließen und Jesus nachfolgten, um Menschenfischer zu werden. Bewege dich: Geh auf andere zu. Geselle dich zu dir vertrauten Menschen und suche die anderen. Wechsle gelegentlich die Perspektive. Erlaube dir, deine Meinung zu ändern. Vermeide Cliquen.
3. Höre zu:
„Höre Israel“ aus dem Buch Deuteronomium ist das Grundgebet Jesu. Damit geht er in den Abend und in den neuen Tag. Benedikt von Nursia beginnt seine Regel mit dem eindrücklichen „Höre“ und prägt das Wort „Neige das Ohr deines Herzens“. Höre zu: Höre aufmerksam zu, bevor du sprichst. Versuche, den anderen zu verstehen, bevor du urteilst. Setze alles daran, die Aussage des anderen zu retten, bevor du sie verwirfst. Halte Widersprüche aus und gib ihnen Zeit.
4. Wenn du sprichst:
Im Buch Genesis heißt es: Gott sprach: Es werde...“ Gott offenbart sich, indem er spricht, Menschen anspricht, sie beim Namen ruft, sie ermutigt, ihnen widerspricht, mit sich reden und von sich hören lässt. Menschen entsprechen dem Gotteswort, wenn ihre Worte ermutigen, aufbauen, unterscheiden, trösten, klären, Perspektiven öffnen und heilen. Wo herabgewürdigt, Zwiespalt gesät, beleidigt, verachtend dahergeredet oder dreist gelogen wird und die Sprache ihre destruktive Macht entfaltet, kann der Mensch diese gute Schöpfungskraft in ihr Gegenteil verkehren und sie zur todbringenden Waffe pervertieren. Bewirken meine Worte Krieg oder Frieden, Tod oder Leben? „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ heißt es bei Matthäus. Wenn du sprichst: Sage klar, was du denkst. Urteile nicht über andere Personen, sondern vertritt deine Position. Wenn du innerlich ‚kochst‘, überlege gut, ob es dienlich ist, jetzt das Wort zu ergreifen. Sprich zu anderen anstatt über andere.
5. Trau dich:
Trau dich, wie die Frau im Markus-Evangelium, die schon 12 Jahre an Blutungen litt und trotz ärztlicher Hilfe keine Heilung fand. Sie traute sich, das Gewand Jesu zu berühren, um geheilt zu werden. Nur Mut! Oder wie Alfred Delp es formuliert: „Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt.“ Trau dich, von dir selbst, von deinen Erfahrungen und Gefühlen zu sprechen. Trau dich, den anderen so zuzuhören, dass sie über sich selbst sprechen können. Trau dich, Vertrauliches vertraulich zu behandeln, über deinen Glauben zu sprechen und auch mal etwas Neues vorzuschlagen oder eine ‚Schnapsidee‘ zu äußern.
6. Lass dir Zeit:
Lass dir Zeit wie es im Lukasevangelium geschrieben steht z. B. in der Erzählung vom barmherzigen Samariter und in der Geschichte der Schwestern Marta und Maria. In beiden Texten geht es um das wache Gespür für das, was jetzt an der Zeit ist: hier die handelnde Intervention, dort die zuhörende Hinwendung zum Gast. Lass dir Zeit: Lass dir Zeit, die Zeichen der Zeit im Lichte des Evangeliums zu verstehen, neue Erfahrungen und Anregungen reifen zu lassen, dir deine eigene Meinung zu bilden. Lass dir Zeit mit der Frage, wie du dich entscheidest, und lass den anderen die Zeit, die sie brauchen.
7. Unterscheide:
Unterscheide, wie über Jesus im Markusevangelium berichtet wird, als er die Jünger dazu auffordert ihm zu sagen, für wen ihn die Menschen halten. Petrus sagte: „Du bist der Messias.“ Als Jesus sie belehrte, was er erleiden werde und dass er getötet werde und nach 3 Tagen auferstehen werde, machte Petrus ihm Vorwürfe. Jesus wandte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus mit den Worten zurecht: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ Unterscheide: Unterscheide, mit wem du über was sprechen kannst; was dein Amt, deine Rolle, deine Funktion von dir verlangen und was dir persönlich wichtig ist; woher heftige Gefühle kommen, die du verspürst. Entwickle ein Gespür, was die Menschen auf die Spur Christi bringt.
8. Kämpfe:
Kämpfe, wie es bei Lukas heißt, als Jesus seine Jünger auf sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung vorbereitet: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“ Kämpfe: Kämpfe für Positionen, die es wert sind: mit offenem Visier, mit fairen Mitteln, mit Respekt vor dem Gegner. Kämpfe um klare Lösungen, aber auch für den Konsens und die Einheit. Sei ein guter Gewinner und ein guter Verlierer.
9. Sei großzügig und gelassen:
Sei großzügig und gelassen. Matthäus schreibt: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Sei großzügig und gelassen: Sei großzügig und gelassen, wenn nicht alles so läuft wie erhofft oder geplant. Erlaube anderen und dir selbst, Fehler zu machen. Trage so bei zum guten Klima eines gemeinsamen Lernprozesses. Sei offen beim Klären von Zwischenfällen, weil Langmut und Nachsicht Eigenschaften Gottes sind.
10. Bleibe im Gebet:
„Betet ohne Unterlass.“ Die Mahnung des Paulus im Ersten Brief an die Thessalonicher steht da inmitten lebenspraktischer Ratschläge für den Umgang miteinander:“ Erkennt die gegenseitige Mühe an. Haltet Frieden untereinander, ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen! Vergeltet einander nicht Böses mit Bösem, verachtet prophetisches Reden nicht, prüft alles und behaltet das Gute!“ Bleibe im Gebet: Bleibe im Gebet: um Gottes Stimme unter den vielen Stimmen zu erkennen; um im festen Vertrauen zu bleiben, dass Gott selbst uns Menschen führt; um den anderen in Ehrfurcht zu begegnen, auch jenen, die dir widersprechen und dich kritisieren. Bleibe im Gebet, damit Gott in allem verherrlicht werde.
Veröffentlicht: 27.07.2023